Die Feinde sind die Finanzminister – Michael Ullmann
Expertenmeinung Michael Ullmann – Gründer Kapitalfreunde und Branchenkenner
Michael Ullmann hat nach eigenen Angaben die erste Equity-basierte Crowdfunding-Plattform für Immobilien in Deutschland gegründet. Im Oktober 2012 ging die Plattform unter www.kapitalfreunde.de online. Mittlerweile ist Ullmann auch als Berater im Bereich Crowdfunding aktiv und gilt als ein langjähriger Insider der Branche.
Als Ausgangspunkt für das Crowdfunding sieht Ullmann das Mediengeschäft und die Idee, die Produktion eines Musik-Album zu finanzieren. Die erste Crowdfunding-Plattform habe dafür 50.000 USD aufgebracht. Das Prinzip sei einfach: Zuerst würden die Lieder vorgespielt – wenn es Nachfrage geben würde, dann würde die Finanzierung erfolgreich funktionieren. Crowdfunding sei generell ein Kind des Web 2.0. Alle Ideen von Crowdfunding-Plattformen seien zudem von Plattformen wie Facebook übernommen worden, die Crowdfunding-Plattformen hätten diese Mechanismen von den Social Media gelernt. Das Grundprinzip und ein starkes Element von Crowdfunding sei: Partizipieren in einem partizipativ-kooperativen Rahmen, mitmachen und Anteile halten. Die Nutzung von Schwarmintelligenz gehe schon auf Aristoteles zurück: 100 Augen würden mehr als 2 sehen, somit würde auch mehr Wissen zur Verfügung stehen. Lange Zeit sei das Internet singulär-direktional gewesen, bevor es sich in ein omnidirektionales Kommunikationsmedium gewandelt habe. Schwarmintelligenz funktioniere per se sehr einfach, was auch die Grundidee von Crowdfunding wäre. Es ginge primär um Fans und die Kundenbasis. Bisher erfolgreichster Crowdfunder laut Ullman sei Ex-US-Präsident Barack Obama, der seiner Ansicht nach ohne Crowdfunding niemals US-Präsident geworden wäre. Als bekannte Unterstützer von Demokraten und Republikanern zählt er Brad Pitt und die Scotch Brüder auf. Obama hätte für den zweiten Wahlkampf das Kampagnenbudget zu 25% über mobil-basierte Unterstützungen und zu 50% über Internet-Spenden eingesammelt. Somit wäre jeder, selbst bei einer Spende von nur 1 Euro, zum Markenbotschafter, was Ullmann den „Barack Obama-Effekt“ nennt.
Crowdfunding kommt laut dem Experten aus der Medienwirtschaft und wird auch von ihr getragen. Es könnte sich dabei auch um einen Demokratisierungsversuch der wirtschaftlich orientierten Gesellschaft handeln. Dieser Mitmach-Gedanke wäre entscheidend. In Real Estate gibt es Versicherungen, somit scheinen diese Investments für Kleinanleger interessant.
Als internationale Beispiele führt Ullmann Lybien und Indonesien an, die stark auf Crowdsourcing setzen würden. Durch Schwarmintelligenz soll es zu besseren Investitionsentscheidungen und einer effizienteren Ressourcenallokation kommen. Die Meinung der Kunden werde abgefragt, es ginge dabei nicht um „cheap talk“, sondern „real contribution“ im Sinne von einer Schaffung einer Community. Natürlich gäbe es auch negative Beispiele, wo der Experte beispielsweise Hitler und die Nazi-Zeit aufführt. Selbst eine unidirektionale Kommunikation wie eine Zeitungsanzeige habe sich durch die Leserbriefe zu einer mehr oder minder omnidirektionalen Kommunikation entwickelt. Nicht die Informationstechnologie, sondern das Internet, nicht der PC, sondern die Digitalisierung seien die realen Treiber. Die Frage sei: Wollen alle die Einbeziehung und Demokratisierung? Das funktioniere nicht bei allen Plattformen, doch als Beispiel für eine weitere Ausdehnung sei das Social Trading im Aktienbereich angeführt.
Den Immobilien-Bereich könne man als Case Study sehen, so der Experte weiter. Die Vertriebsmitarbeiter agierten komplett digital, es bilde sich neben dem Kommunikationskanal ein Multi- und eChannel. Eine reine Kapitalanlagevermittlung werde der Idee nicht gerecht, doch die Möglichkeiten des Internets würden von von den Regulierungsbehörden und –institutionen gleichsam „totreguliert“. Besonders hier sei Real Estate ein Negativbeispiel. Für die Zukunft sieht Ullmann, dass die Blockchain-Technologie weiter an Bedeutung gewinnen werde. Das Web 2.0 würde die natürliche Intelligenz zusammenfassen, während das Web 3.0 und 4.0 durch Big Data eine künstliche Intelligenz für bessere Investitionsentscheidungen erschaffen würden.
Die Wertschöpfung der Informationstechnologie sei gewaltig und sehr amerikanisch geprägt. Der Anteil deutscher Firmen in diesem Bereich sei gering, dafür aber in anderen Industrien bedeutend größer. Die Produktivitätszuwächse wären in diesem Bereich enorm. Für Ullmann ist fraglich, ob die Gesellschaft einer technologischen Singularität nach der Zeri Marginal Cost-Theory von Rifkin, der als Berater der deutschen Bundeskanzlerin Merkel agiere, zusteuert oder nicht. Außer Daten und Immobilien würden die Grenzkosten in diesem Fall auf Null sinken. Daten und Immobilien hätten auch keine Monopolstellungen mehr. Somit sei eine Energiewende zu Grenzkosten von Null vorstellbar. In diesem Zusammenhang ist für Ullmann auch die Netzneutralität von hoher Wichtigkeit. In der neuen Welt seien Kapital, Arbeit und Energie nichts mehr wert, weil Computer und Maschinen alles besser könnten.
Generell trifft Ullmann keine Unterscheidung zwischen Crowdfunding allgemein und Equity-basiertem Crowdfunding. Das in Deutschland „Crowdinvesting“ genannte Equity-basierte Modell habe einen Intermediationscharakter des Online-Geldeinsammelns. Es sei bequem, da es vor allem auch für die Anleger die Grenzkosten minimiere, beispielsweise für die Informationsbeschaffung. Zugleich können Unternehmen viel mehr Anleger zu den gleichen Kosten verwalten, was es ermögliche, auch kleinere Anleger zu inkludieren. Dadurch könne die Investorenbasis, beispielsweise der Crowdfunding-Plattform, verbreitert werden, ohne die Verwaltungskosten ansteigen zu lassen. Das führe wiederum zu einer verbreiterten Anlegerbasis für die Unternehmen. Laut Markowitz sei eine Streuung und Diversifikation auf eine breitere Anlegerbasis gut für den langfristigen Erfolg des Unternehmens. Das bequemere Anlegen, die transparente Information und die Nutzung der Schwarmintelligenz seien die Hauptvorteile von Crowdfunding allgemein.
In Bezug auf die Lösung von Herausforderungen klassischer Bankfinanzierungen durch Crowdfunding meint Ullmann, dass die Entscheidung insofern auf mehr Personen beruhe, aber natürlich auch viele Experten sich irren können – getreu dem Motto der „Schwarmdummheit“.
Als Alternativen für die Finanzierung von IuK-Unternehmen sieht Ullmann, der sich selbst nicht als Finanzierungsexperte bezeichnet, die üblichen Quellen wie Venture Capital-Unternehmen. Als Beispiel führt er Silicon Valley an und die Finanzierung von Google durch den VC Kleiner Perkins. „Google war kein Bankenthema.“
Zusätzliche Probleme sieht der Experte durch das Aufkommen von Crowdfunding nicht. Der Kanal wird selbst missbraucht. „Missbrauch, intransparente Kommunikation, Betrug, Täuschung, zu wenig Risikoaufklärung und die besagte Lemming-Tendenz. Das sind die Hauptthemen in diesem Bereich.“
Die Crowdfunding-Idee an sich habe es schon früher gegeben, beispielsweise bei Genossenschaften oder Raiffeisen-Banken. „Was der einzelne nicht vermag, das können viele.“ In den ländlichen Gebieten habe es Brotvereine gegeben. Früher seien die Finanzierungen offline vonstatten gegangen, nun würden sie online abgewickelt, wodurch Crowdfunding ein Digitalisierungs- bzw. Internet-Thema sei. Generell seien auch Fonds und Aktien eine Art von Crowdfunding, da ein großer Betrag von vielen kleinen Anlegern aufgebracht werde.
Laut Ullmann ist im deutschsprachigen Raum von allen Plattformen nur www.kapitalfreunde.de relevant.
Zu der Regulierung hat Ullmann eine eigene Meinung. So wären die legal opinions zwar nachzulesen, die Einschränkungen durch die Regulierung wären jedoch allesamt lösbar. Als Vergleich meint Ullmann, dass Regulierungen für den Crowdfunding-Bereich ähnlich sinnvoll wären, wie Sex zu haben, um jungfräulich zu bleiben. Die Regulierung sei ein „Ausfluss der Emittenten“ des westlichen Geldes und somit der Staaten an sich, um den Krieg um das Geld bzw. die Geldhoheit zu gewinnen. „Und das machen sie, weil sie Gesetze erlassen können.“ Bitcoin könnten die Staaten mit den Gesetzen genauso wenig aufhalten wie Crowdfunding im Grunde. Ullmann sieht in den Regulierungen weniger den Schutz der Anleger, sondern den Schutz maroder Währungen wie des US-Dollar oder des Yen. Innovatoren, die sich gegen die Gesetzgeber zur Wehr setzen sollten, gibt er den Rat, dort anzufangen, wo es keine starke Gegenwehr zu erwarten gäbe, also nicht in den Industriestaaten. Die Regulierung bringe den Anlegern nichts, sie sei eher kontraproduktiv – und die BaFin ein reines Qualitätssiegel für die Plattformen.
Crowdinvesting-Stakeholder werden vor allem mit Vertrauensfragen konfrontiert, obwohl die eigentlichen Kapitalvernichter die Sprakassen und Landesbanken im Nachkriegsdeutschland gewesen wären. Ullmann nimmt in dieser Hinsicht die Luftfahrttechnologie aus, verweist aber auf Skandale wie den der Hypo Alpe Adria. Banken haben einen Vertrauensvorteil, weswegen es an der Zeit für die Crowdfunding-Branche, das Vertrauen zu gewinnen. Leider hätten jedoch viele „komische Leute“ hier viel Unheil angerichtet und das Vertrauen verspielt (siehe PROKON-Affäre).
Die normalen Leute würden keine Schwarmintelligenz nutzen wollen oder Entscheidungen fällen (siehe Geld in Fonds-Verwaltungen, das „einfacher gehandhabt wird“ als bei persönlicher Aktien-Verwaltung), besser wäre deswegen ein „educated guess“-Modell. Daher sei es an der Zeit, Transparenz in eigener Sache zu schaffen und die Schwarmintelligenz zu fördern. Die ersten Skandale, die in diesem Bereich würden dann wiederum das Gegenteil bewirken und zu noch stärkerer Regulierung führen. Die größten Feinde sieht Ullmann in den Finanzministern. Der Crowd Act von Ex-US-Präsident Obama sei gut gewesen, doch sei regulatorisch einfach zu viel nicht möglich.
China als Wachstumsmarkt sei „sehr speziell“. Als Problem sieht Ullmann, dass es keine frei konvertierbare Währung gibt. Diese Frage müsste die Wirtschaft dank der stark wachsenden Währung jedoch selbst beantworten. Vielleicht sei die Einführung und Verbreitung von Bitcoin eine Lösung. Ob es in China Crowdfunding generell gibt, ist dem Experten unklar. Indien sieht Ullmann als spannenden Markt an. Weiters seien Georgien, Honduras und Afrika potentielle Wachstumsmärkte, da dort die Verbreitung von Bitcoins und mobilen Technologien zunehme. Ähnlich dem leap frogging überspringen diesen Länder Technologien wie die Festnetz-Telefonie, meint der Experte. Das Ergebnis seien Auswüchse wie die Twitter-Revolution oder ein ungewohntes Ausmaß von Netzneutralität. Westliche Industriestaaten mit Führungs- und Leitwährungen hätten kein Interesse an alternativen Währungen wie beispielsweise von Google oder Apple.
Die Zunahme der Nutzung der alternativen Finanzierungsform des Crowdfundings sieht Ullmann für die Zukunft dramatisch. Derzeit verlaufe das Wachstum fast waagrecht, es handle sich jedoch um einen digitalen Prozess, weswegen mit einem Hockeystick-Anstieg zu rechnen sei. Die langfristigen Auswirkungen des Internets werden laut dem Experten unterschätzt. Derzeit befinde sich Crowdfunding unterhalb der linearen Perzentile, doch wird der Bereich schneller zunehmen als das erwartete lineare Wachstum, ist sich Ullmann sicher.
Derzeit hätten die Banken kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit Crowdfunding-Plattformen, jedoch ist Ullmann davon überzeugt, dass Banken mittelfristig selbst als Crowdfunding-Plattformen agieren werden. Sie würden die Passivseite der Bilanz über Crowdfunding granulieren. Derzeit würden die Banken einfach hinterher hinken. Für den Experten ist es nicht nachvollziehbar, warum die Banken die Transformation nicht jetzt schon durchführen. Die Bankbilanz würde sich über Crowdfunding auflösen. Die Konkurrenten für Banken wie die Deutsche Bank seien eher Google und Co. und weniger Goldman Sachs. Man erhalte überall Banklizenzen und somit könnten neue oder gemeinsame Währungen entstehen. Der Experten verweist hierbei auf www.fin.org. Es handle sich einfach um ein dezentrales System wie Bitcoin. Die Frage sei nicht, ob es kommt, sondern wie es kommen wird. In 2012 habe die Deutsche Bank angekündigt, dass sie selbst zur Crowdfunding-Plattform werden würde. Bill Gates sagte 2000, dass Banken im Sinne von Bankbilanzen nicht notwendig seien, Banking jedoch schon.
In den nächsten 5 Jahren sei die Entwicklung von Crowdfunding unklar, doch in 15 Jahren würde alles nur noch online funktionieren und abgewickelt werden. Die Vorteile seien zu hoch, die Banken würden nicht dagegen ankommen. Das Wachstum bzw. das Potential sei nicht mit linearen Zahlen zu beziffern, was auf das Moore’sche Gesetz zurückzuführen sei. „Lineare und binäre Zahlensysteme sind eben anders“, schließt der Experte.