Banken digitalisieren seit Jahrzehnten – Heike Mai
Expertenmeinung von Heike Mai, Economist für Banking, Financial Markets und Regulation bei der Deutsche Bank AG
Heike Mai arbeitet als Economist in der DB Research-Abteilung der Deutschen Bank und beschäftigt sich mit Theorien zu Banking, Finanzmärkten und Regulierung.
Auf die Innovationen im Bankensektor angesprochen, antwortet Heike Mai, dass es bereits seit Jahrzehnten eine Digitalisierungswelle in der Branche gebe. Seit damals gebe es bereits einen Strukturbruch weg von den alten Eingangs- und Ausgangskörben, der die Banken mehr oder minder laufend verändere und auch einen Personalabbau bewirke. Alle würden von Digitalisierung sprechen, doch die Banken würden dies schon lange umsetzen, sie wären insofern Vorreiter. Die Banken hätten teilweise „Dinosaurier-IT-Systeme“, wie sie Mai nennt, da sie schon seit jeher mit einem immateriellen Gut wie Geld handeln müssten.
Seit 2008, also nach der Finanzkrise, spürt die Bankenbranche laut Mai den stärkeren Einfluss von neuen Mitbewerbern aus dem Bereich der FinTech-Szene. So seien durch den eCommerce mit Privatkunden die neuen Wettbewerber aufgekommen. Die Banken mussten somit ihre Online-Kanäle verstärkt aufbauen und das „Filialsterben“ setzte ein. Oftmals werde zwischen dem klassischen Modell der Bank und dem neuen (stark auf online ausgerichteten) Modell der Bank unterschieden. Durch diese Verschiebung habe sich beispielsweise auch das Ortsbild geändert. Doch nur Online-Banking sei nicht zielführend, obwohl die Standard-Dienstleistungen online abgewickelt werden könnten. Dennoch sei, vor allem bei größeren Bankgeschäften (wie Krediten, Sparanlagen, Baufinanzierungen etc.) eine persönliche Beratung gewollt. In diesem Kontext werde die das Vertrauensverhältnis gestärkt. Man werde nicht komplett auf Offline-Filialen verzichten, so Mai. Filialen würden bestehen bleiben, „in welcher Form auch immer“.
Laut Mai habe die Regulierung den aufkommenden, innovativen, anfangs kleinen FinTech- und Big Data-Unternehmen weniger geholfen als den großen Unternehmen wie Visa/MasterCard und PayPal, denn „ein großer Markt ist ein Einfallstor“. PayPal habe beispielsweise mit einer eMoney-Lizenz aus Irland aus operiert, bevor das Unternehmen nach Luxemburg übersiedelt sei. Auch Abwickler wie Wirecard hätten von dieser Entwicklung profitiert. Der Aufwand der Anpassung an die Regulierung sei für kleine Unternehmen beträchtlich, weswegen sie oftmals gerne mit größeren, bereits etablierten Partnern zusammenarbeiten und „unter dem Radar agieren“ würden.
Als Beispiele nennt Mai die PSD & PSD2, die den grenzübergreifenden Zahlungsverkehr vereinfacht haben. Dies hätte einiges für Zahlungsinstitute und e-Geld-Institute verkompliziert, hier wären die Nicht-Banken, die sich quasi in das gemachte Nest setzen konnten, im Vorteil gewesen. Generell brauche man im Feld des Bankings heutzutage die kritische Masse an Nutzern und Transaktionen, um sich behaupten zu können. Das rechtliche Umfeld kenne man als Bank. Neu aufkommende Unternehmen wie die N26 Bank, RoboAdvisor und Weltsparen würden mit einem Land als Basis und Testmarkt beginnen und dann schrittweise expandieren.
Historisch seien im Endkonsumenten-Bereich der Banken in Europa viele rechtliche Hürden gewachsen, obgleich sich die Branche um schrittweise Anpassung bemühe. Die Grenzen seien aber klar: Sprachbarrieren, Verbraucherschutz-Bestimmungen, unterschiedliche Notarkosten bei Immobilien-Krediten etc. Dies sei ein beträchtlicher Unterschied zwischen Europa und den USA, wo es weniger Barrieren und weniger Regulierung gäbe.
Ein Bereich, den Mai als Vorbild bezeichnet, ist der Online-Handel, wo der Zahlungsverkehr einfach (und über Schnittstellen) ablaufen würde.
Als große Trends im Bereich Banking sieht Mai das Geschäft mit Daten sowie das Wachstum von Plattformen. Hier seien die Banken stark benachteiligt, da Plattformen weniger streng reguliert wären und auch mit allen Systemen (ko)operieren würden. Hier solle der Gesetzgeber über die Auswirkungen und Tendenzen am Markt nachdenken, so der Vorschlag von Mai. Generell sei aus Banken-Sicht eine Zusammenarbeit mit den Plattformen wie beispielsweise GAFA (Google, Apple, Facebook und Amazon) vorstellbar. Apple setze beispielsweise zusammen mit JP Morgan ApplePay um. Auch Kreditkartengesellschaften wären hier sicherlich aufgeschlossen.
Ziel wäre es, das Know-How zusammenzulegen, wobei aus rechtlicher Sicht Banken ihre Kundenkontakte auf Kundenwunsch beispielsweise an Plattformen weitergeben müssten, Plattformen dies aber nicht tun müssten. Hier sieht Mai einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil für die Banken. Vor allem in Anbetracht der DSGVO sei die Situation nochmals erschwert worden. Beispielsweise kann Google ein gutes Kreditangebot durch die gesammelten Daten des Nutzers machen, die Bank könnte ihm auch ein passendes Angebot unterbreiten, doch bekommt sie die Daten von Google nicht zur Verfügung gestellt – selbst, wenn dies der Kunde theoretisch wollen würde, gesetzlich ist dies nicht verpflichtend. Überdies ist fraglich, diese Anmerkung sei an dieser Stelle eingebracht, ob Google die Daten, die das Unternehmen über die Kunden speichert, allesamt offenlegen würde (selbst dem Kunden gegenüber). Es bleibt – als kurzer Exkurs – abzuwarten, ob nicht in Kürze durch Plattformen wie Facebook genügend Daten gesammelt werden, um den Nutzern maßangepasste Krankenversicherungen anbieten zu können: Dies könnte entweder für die Plattformen selbst ein zusätzliches Geschäftsfeld sein – oder die Plattformen würden die Daten an die Krankenkassen verkaufen. Durch die PSD2 könnten andere Anbieter die Kontodaten mit Zustimmung des Kontoinhabers abrufen. Für diese Weitergabe würden die Banken jedoch kein Geld erhalten. Sie würden die Daten somit zum Nulltarif weitergeben. Dies sei ein Problem, eine Einbahnstraße und im Endeffekt eine weitreichende „Wettbewerbsverzerrung“, so Mai.